DER KANTON BERN WILL DIE ZWEISPRACHIGKEIT FÖRDERN von R. Wyß Im Mai 2017 setzte der Regierungsrat eine Expertenkommission zur Förderung der Zweisprachigkeit im Kanton Bern ein, präsidiert vom Bieler Ständerat Hans Stöckli. Am 12. November 2018 wurden im Berner Rathaus die Ergebnisse der Kommissionsarbeit präsentiert. Die Kommission setzte sich aus Fachleuten aus verschiedenen Gebieten und Vertretern von Interessengruppen zusammen. Die Ergebnisse spiegeln die unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen der Mitglieder. Ein Mangel des Berichts besteht darin, dass letztlich unter demselben Dach unterschiedliche Ziele gesetzt werden, ohne dass eine klare Priorität erkennbar wäre. So wie argumentiert wird, ist die Zweisprachigkeit nur ein Ziel unter mehreren. Die formulierte „Vision“ leuchtet zwar durchaus ein: Kantonaler Zusammenhalt Die Bevölkerung und die sozioökonomischen Akteure fühlen sich wohl in ihrem sowohl tatsächlich als auch rechtlich zweisprachigen Kanton. Positionierung auf nationaler Ebene Der Kanton Bern wird in der Schweiz in sozialer, wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht als vorbildlicher zweisprachiger Kanton anerkannt. Nationaler Zusammenhalt Die Schweiz kann auf den Kanton Bern, der Sitz der Bundesstadt ist, als Bindeglied zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz zählen. DIE ZIELSETZUNGEN 1. Eigentliche Förderung der Zweisprachigkeit - Zweisprachigkeit der Leute in Deutsch und Französisch, d.h. zumindest verbesserte Kenntnisse und Fertigkeiten in der Zweitsprache in erster Linie durch den Schulunterricht
- Durchgehende Zweisprachigkeit in der Verwaltung, Anreize zur sprachlichen Weiterbildung
- Sichtbarmachung der beiden Amtssprachen in Gebäuden kantonaler Institutionen
- Persönlicher und schulischer Austausch mit dem andern Kantonsteil und benachbarten Kantonen
2. Schutz und Förderung des Französischen als Minderheitssprache 3. Wirtschaftliche Entwicklung durch Förderung des Bevölkerungswachstums, insbesondere von Französischsprachigen. ÜBERLEGUNGEN ZU DIESEN ZIELSETZUNGEN Vorbemerkung: Es ist wichtig, dass die bestehende Zugehörigkeit der Gemeinden zu den Sprachgebieten nicht angetastet wird. Das scheint auch der Expertenbericht so zu sehen. Neue amtlich zweisprachige Gebiete sind eher zu vermeiden. Sie sind höchstens in Erwägung zu ziehen, wenn einsprachige Gemeinden an der Sprachgrenze, beispielsweise Neuenstadt, Ligerz und Twann, fusionieren sollten. Noch eine persönliche Bemerkung: Ich besuchte als Schüler immer gerne das „Franz“. Wir hatten durchwegs sehr gute und strenge Lehrer. Um die genaue Kenntnis von Grammatik und Rechtschreibung kamen wir nicht herum, und wir lernten gut Französisch sprechen und schreiben. Das hat viele Jahrzehnte lang nachgewirkt, obwohl ich nur noch sporadisch dazu komme, mein Französisch zu brauchen. 1. Die Förderung der Zweisprachigkeit ist zu begrüßen. - Am besten gelingt diese in der Schule, das beweisen die guten Ergebnisse moderner Schulung. Der Bericht nennt denn auch den verbesserten konventionellen Sprachunterricht, den integrierten zweisprachigen Unterricht (die Teilimmersion) und die CICL-Methode, bei der außerhalb des eigentlichen Sprachunterrichts einzelne Fächer in der Fremdsprache unterrichtet werden, sowie Schulaustausch ganzer Klassen.
Die Ergebnisse besonders der Teilimmersion und der CICL-Methode sind wesentlich besser als jene des konventionellen Unterrichts. Diese Ansätze sind übrigens keineswegs neu, sondern werden seit Jahrzehnten praktiziert. In Irland wurden auf Gymnasialstufe an manchen englischsprachigen Schulen bereits in den frühen 60er Jahren einzelne Fächer auf Irisch (Gälisch) unterrichtet. Zweisprachiger Unterricht wird im Kanton Jura, Vorkenntnisse aus der Familie vorausgesetzt, bereits seit 2009 angeboten. Wichtig und zu fordern ist, dass alle angebotenen Modelle den Kindern in allen Teilen des Kantons zugänglich gemacht werden. Seit heuer (2018) wird ein Studiengang an den PH in Bern und Delsberg angeboten, der Lehrer zu zweisprachigem Wirken befähigen soll. (S. Mitteilungen 2/2018) Vor allem in Biel und Leubringen und an der Sprachgrenze sowie auch in Bern ist darauf zu achten, dass alle Kinder in der Schule auch ans Berndeutsch herangeführt werden. Sie müssen nicht in der Schule zum Sprechen der Mundart gebracht werden, aber sie sollen lernen, dass diese doch nicht so schwierig ist, wie Welsche oft denken, und mit einiger Übung durchaus dekodiert werden kann. -
Die zweisprachige Verwaltung ist im Prinzip bereits gegeben, doch ist die Förderung des Personals in der jeweiligen Fremdsprache gewiss sinnvoll. Das übergeordnete Kriterium bei Anstellungen muss die fachliche und charakterliche Eignung für eine zu besetzende Stelle bleiben. Für kantonale Angestellte mit Kundenkontakt darf aber ein angemessenes Niveau (B1 oder B2, in vereinzelten Fällen auch höher) vorausgesetzt werden, und die Qualität der Sprachfertigkeiten darf durchaus ein lohnwirksames Element werden. Auch von Kandidaten für den Regierungsrat sind entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten in der Zweitsprache vorauszusetzen, zu erwägen ist, dass das neu auch eine Voraussetzung für die Wahl wird. -
Die Sichtbarmachung der beiden Amtssprachen in Gebäuden kantonaler Institutionen ist schon heute gegeben, in Spitälern sind Verbesserungen möglich. Allerdings sollte das mit Augenmaß geschehen, vor allem beim Eingang, beim Empfang und bei der Beschriftung der Abteilungen. Es ist nicht sinnvoll, alles und jedes zweisprachig anzuschreiben, wenn die meisten Patienten die Sprache der Region sprechen. Immerhin können wir uns die Forderung nicht verkneifen, dass auch die Polizei zweisprachig angeschrieben wird, wie das z. B. in Belgien üblich ist. -
Beim Austausch über die Sprachgrenze hinweg – auch von Personal – ist mit den Kantonen der Hauptstadtregion zusammenzuarbeiten: FR, SO, NE, VS, aber auch mit der Waadt. Nur so ist es möglich, dass genug Personal und Schulklassen beider Sprachgebiete mitmachen können. 2. Schutz und Förderung des Französischen als Minderheitssprache – und wie steht es mit dem Deutschen? Der jurassische Kantonsteil ist zwar durch die Abspaltung des Kantons Jura halbiert worden und wird bei dem zu erwartenden Kantonswechsel von Moutier noch kleiner, aber die Lage der französischen Minderheit im Kanton Bern kann keineswegs mit der romanischen oder italienischen Minderheit in Graubünden verglichen werden. Als Sprache ist das Französische durch sein Prestige und durch das Selbstbewusstsein seiner Sprecher sogar stärker als das Deutsche. Dazu kommt, dass viele Deutschberner zum Hochdeutschen eine gespaltene Beziehung haben: Es ist zwar die Sprache, die sie mühelos verstehen und auch am besten schreiben. Es ist sogar, jedenfalls seit der Reaktion der Schulen auf den wachsenden Gebrauch der Mundart im Unterricht auch eindeutig die Standardsprache, die sie in den allermeisten Fällen am besten sprechen. Dennoch ist Hochdeutsch nicht die Sprache ihres Herzens, viele sind deshalb gerne bereit, mit Welschen Französisch zu sprechen, selbst wenn sie es nicht so gut können. Die Überlegenheit des Französischen zeigt sich auch daran, dass sich in Biel die Sprachgrenze vom Jura ins Mittelland verschoben hat und dass die alte deutschsprachige Minderheit im Jura selbst in den letzten 150 Jahren weitgehend verschwunden ist. Das Französische ist im Status quo schon sehr gut geschützt. Der Südjura bildet im Kanton Bern einen eigenen Kreis, Biel und Leubringen sind amtlich zweisprachig, und in Bern können Kinder die französische Schule besuchen, obwohl Bern amtlich deutschsprachig ist und auch bleiben soll. Die angesagte allgemeine Förderung der deutsch-französischen Zweisprachigkeit im Kanton wird das Französische zusätzlich stützen. Es sind keine weiteren Maßnahmen und Einrichtungen nötig. Der Expertenbericht erwähnt den geplanten Ausbau der Association romande et francophone de Berne et environs (ARB) als Dachverband für alle welschen Vereine im alten Kantonsteil. Die ARB war auch in der Expertenkommission vertreten. Sie hatte sich auch schon früher Gehör verschafft und soll nun wohl einen direkten Draht zur Regierung bekommen. Wir vermissen in der Liste der Experten Leute, welche die Aufgabe hatten, auch die Interessen der deutschsprachigen Bevölkerung zu vertreten, besonders jene der deutschsprachigen Minderheit im Verwaltungskreis Jura. Dabei ist diese wesentlich älter als die frankophone in Biel. Es ist deshalb zu fordern, dass der Verwaltungskreis mit den kleinen amtlich deutschsprachigen Gemeinden Seehof und Schelten sowie den faktisch deutschsprachigen Gemeinden Mont-Tramelan und Rebévelier Rechnung trägt und offiziell zweisprachig wird. Es mag eingewandt werden, diese vier Gemeinschaften seien sehr klein und fielen nicht ins Gewicht. Aber an anderer Stelle heißt es doch im Bericht: „Natürlich darf dabei der Minderheitenschutz nicht vergessen werden, denn je kleiner eine Minderheit ist, umso stärker muss sie geschützt werden.” (S .31) Im 19. und 20. Jahrhundert betrieben die meisten Gemeinden und der Kanton eine aktive oder passive Assimilationspolitik gegenüber einer Minderheit, die wesentlich älter war als die welsche Minderheit in Biel. Jetzt ergibt sich mit der Förderung der Zweisprachigkeit eine Gelegenheit der Wiedergutmachung an einer in Vergangenheit und Gegenwart stets loyalen Bevölkerung. 3. Wirtschaftliche Entwicklung durch Förderung des Bevölkerungswachstums, insbesondere von Französischsprachigen – geht das auf? Es ist ein politisches Dogma in der Schweiz, dass Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung ein Bevölkerungswachstum voraussetzen. Wahr ist vielmehr, dass dazu gut qualifizierte Leute nötig sind, die am besten gleich vor Ort ausgebildet und rekrutiert werden. Länder wie Finnland und Island haben sich gedeihlich entwickelt und weisen einen Lebensstandard und eine Wirtschaftskraft auf, die jener der Schweiz vergleichbar ist. Das beträchtliche Bevölkerungswachstum auf Island ist vor allem auf eine andauernd hohe Geburtenrate zurückzuführen. In Finnland ist die Bevölkerung seit 1960 nur von 4,5 Millionen auf 5,5 Millionen gewachsen. Eine geringe Geburtenrate ist auch in der Schweiz seit vielen Jahren Tatsache. Sie ist aber durch Einwanderung überkompensiert worden. Wir können sehen, wie von Jahr zu Jahr der Siedlungsraum sich ausgeweitet hat und noch ausweitet, die Natur zurückgedrängt wird und der Verkehr zunimmt. Die Zersiedelung bringt es mit sich, dass es in den Ballungsräumen viele Leute an den Wochenenden dazu drängt, lange Fahrten auf sich zu nehmen, um anderswo der mehr oder weniger unverdorbenen Natur wieder nahezukommen. Einen Austausch von Fachkräften mit anderen Landesteilen und dem Ausland braucht es natürlich schon. Bei der Anwerbung von Arbeitskräften geht es aber in erster Linie um die fachliche Qualität der Bewerber, nicht um deren Sprache. Wichtig ist vielmehr, dass die ansässige Bevölkerung durch gute Sprachkenntisse sowohl des Französischen als auch des Englischen ihre berufliche Tüchtigkeit ergänzt, um für sich selbst und die Gesellschaft in allen Bereichen der Wirtschaft nachhaltig einen guten Ertrag zu erwirtschaften. Es ist aber unsinnig, die verspielten welschen Anteile am Kanton im Jura mit Zuzügern aus dem Welschland und aus dem Ausland ausgleichen zu wollen. Romands bleiben grundsätzlich lieber in ihrem Sprachgebiet, und wenn sie in die Deutschschweiz ziehen, dann doch eher in die Städte, vorzugsweise nach Bern, wo sie ein gutes welsches Beziehungsnetz pflegen können. Wenn ihnen gute Lebensqualität geboten wird, kommen sie gerne, vor allem, wenn sie zudem Sympathie für die Deutsch-Berner und deren Lebensart und Sprache hegen und sich nicht in einem kulturellen Ghetto verschanzen wollen. Für geeignete Verbesserungen zur Erhöhung der Sprachkompetenz der Berner Bevölkerung und für Schritte zu einem überzeugenden Auftritt des Kantons Bern ist es nicht nötig, die ganze Gesetzgebung auf den Kopf zu stellen. Einzelne Änderungen genügen. |