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DIE DEUTSCHE SPRACHE IN LITERATUR, GESELLSCHAFT UND POLITIK
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DEUTSCHE RECHTSCHREIBUNG:
VOM OBRIGKEITLICHEN CHAOS ZU EINER VERNÜNFTIGEN ORDNUNG

Zwar hat die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 samt den Nachbesserungen bis 2006 im Regelwerk einige Vereinfachungen gebracht, doch diese hatten ihren Preis: einerseits mehr statt weniger Großschreibung und fragwürdige Auseinanderschreibung, wie in jedes Mal; anderseits eine Reihe von unsinnigen Schreibungen einzelner Wörter, wie etwa Tollpatsch, obwohl niemand einen Tolpatsch mit toll in Verbindung bringt und das Wort in der Tat auch etymologisch nichts damit zu tun hat.
Die Reform war und ist kein großer Wurf – sie konnte es auch nicht sein, weil zu viele Köche den Brei verdarben. Seither sind auch einige Unsinnigkeiten zurückgenommen worden;  außerdem haben sich verschiedene Verlage ihre eigenen Regeln gegeben, so dass heute eine gewisse Unschärfe in den tatsächlich geltenden und angewandten Regeln besteht, auch wenn der Duden nun kostenfrei im Netz zu Rate gezogen werden kann.
Manche Verlage, etwa Rowohlt und Kiepenheuer & Witsch sowie gezwungenermaßen die Schulbuchverlage haben die neuen Regeln übernommen. Die beiden ersteren behalten immerhin oft auf Wunsch der Verfasser die alte Rechtschreibung bei. Reclam lehnt sich an die Empfehlungen der SOK an. Die FAZ, Suhrkamp und Hanser entzogen sich der Reform weitgehend und fuhren damit sehr gut.  Selten wünscht einer ihrer Verfasser, dass die neuen Regeln angewandt werden. 1)
Für die Schulen ist die modifizierte offizielle Rechtschreibung von 2006 zwar verbindlich, doch wissen alle, die zur Schule gegangen sind, und noch besser wissen es alle Lehrer, dass es im Deutschunterricht wichtigere Aufgaben und schwerwiegendere Probleme gibt als die buchstaben- und kommagetreue Einhaltung der behördlich verordneten Regeln.
Die tatsächliche Bandbreite, die heute besteht, ist an sich kein Unglück, sollte aber deutlich verringert werden. Im Englischen ist es seit je Sache der großen Verlage, über die Rechtschreibung zu wachen. Auch ohne Eingreifen der Regierungen (wie viele würden da mitreden?) ist die Rechtschreibung erstaunlich einheitlich, selbst wenn die Unterschiede zwischen britischen und amerikanischen Gepflogenheiten berücksichtigt werden.
Ähnliches wünschen wir uns auch fürs Deutsche. Die NZZ und die SOK (Schweizerische Orthographische Konferenz) zeigen für die Schweiz den Weg und sind zu ähnlichen Lösungen gekommen. 2) Allerdings sollte die Sprachgemeinschaft den Mut haben, den Gebrauch von Dreifachkonsonanten zu verweigern und Inkonsequenz in der Schreibung von Wörtern aus dem Griechischen zu vermeiden. Näheres dazu unten.
Die Empfehlung der SOK, Großschreibung auf echte Nomina (Hauptwörter) zu beschränken, ist sinnvoll. Die Getrenntschreibung vieler Wörter, die 1998 befohlen wurde, ist vom Rat für dt. Rechtschreibung mittlerweile reduziert worden. Am besten ist es, ganz darauf zu verzichten.
Wichtig ist, dass für die meisten Wörter einheitliche Schreibungen vorliegen, damit der Lesefluss und der einfache Gebrauch von Wörterbüchern und andern Nachschlagewerken gewährleistet sind. Einzelne Dubletten kann sich die Sprachgemeinschaft dabei schon leisten.

ZU EINZELNEN FRAGEN DER RECHTSCHREIBUNG
Umlaute und Pseudo-Umlaute
Unnötige Änderungen durch die Reform ergeben sich bei ä und e, und hier geben NZZ und SOK richtigerweise Gegensteuer. Der Buchstabe ä ist, lautlich gesehen, im Deutschen eigentlich nur für lange Vokale nötig. Bären essen Beeren: Das ä in Bären ist in der Standardsprache offener als jenes in Beeren. (In Norddeutschland klingt allerdings beides meistens gleich.) Lautgeschichtlich betrachtet ist das ä in Bär übrigens kein Umlaut, es ist nicht von einem a abgeleitet, sondern geht auf altgermanisches und indogermanisches e zurück.
Kurzes ä und kurzes e klingen im modernen Hochdeutsch  jedoch gleich: z. B. in ich wende und die Wände.
Die Rechtschreibung orientiert sich im besten Falle an frühere Unterscheidungen in der Aussprache und am etymologischen Zusammenhang: mächtig kommt von Macht (Mehrzahl Mächte), und dieses ä wurde im Mittelalter als sog. Sekundärumlaut überoffen ausgesprochen, so wie in manchen Mundarten noch heute. Mensch hingegen ist zwar auch mit Mann verwandt, nur ist das den Sprechern gewöhnlich nicht so bewusst, und außerdem handelt es sich dabei um einen früheren Umlaut, der bereits in althochdeutscher Schreibung als e greifbar ist und der noch geschlossener war als das alte germanische e in Wetter. Zum Glück ist es bisher niemandem in den Sinn gekommen, wecken durch wäcken zu ersetzen, weil es zu wach gehört. Wenn also die Schreibung Mensch gilt, ist es unsinnig, aus einer Gemse eine Gämse zu machen.  Erst recht töricht ist die offizielle Schreibung belämmert für belemmert, weil das Wort, wie man vermuten kann, nichts mit Lamm zu tun hat, sondern mit lahm zusammenhängt. Dies schreibt man zwar mit a, doch ist der Zusammenhang zwischen belemmert und lahm schon deshalb undurchsichtig, weil das hochdeutsche lahm bereits seit Jahrhunderten ein langes a hat.

Doppelkonsonanten und Dreifachkonsonanten
Leider wird die Frage der Dreifachschreibung von NZZ und SOK nicht abgedeckt.  Dreifachschreibung von Konsonanten in zusammengesetzten Wörtern wirkt höchst unelegant; das gibt es in keiner mir bekannten Sprache. Z.B. gibt es das Wort Pappplakat (schon vor 1996 mit 3 p) auch im Schwedischen, doch wird es da papplakat geschrieben.(S. dazu auch die Beiträge in 1/2019 und 2/2019.)
Das Argument, in zusammengesetzten Wörtern Längen und Kürzen zuverlässig unterscheiden zu wollen, sticht nicht – in Texten ohne Eszett schon gar nicht. Die deutsche Rechtschreibung macht das Lesen von Texten ziemlich einfach; es ist meistens klar, wie die Wörter zu lesen sind, auch unbekannte. Meistens, aber eben nicht immer. Trost und Blust haben einen langen Vokal, Hast und Rost einen kurzen. Dazu kommt, dass schweizerische Sprecher auch in der Standardsprache zwischen kurzem o in Rost ‚oxidiertes Eisen’ und langem o in Rost ‚Gitter, Drahtgeflecht’ unterscheiden.
Schreiben wir deshalb wieder Ballettänzer, Bestelliste, Rolladen, Schiffahrt, schnellebig, Schwimmeister und stillegen. In all diesen Wörtern sind die ersten Vokale kurz, aber auch die Konsonanten werden im Hochdeutsch nicht oder kaum lang oder doppelt (geminiert) gesprochen.
Da das Eszett – abgesehen von der Schweiz, wo es ohnehin kaum mehr verwendet wird, außer im Buchdruck – da also das Eszett im Hochdeutschen zurückgebunden wird, ergeben sich nach den heutigen Regeln des Rats für Rechtschreibung leider neue Dreifachschreibungen wie Flussschifffahrt und Nussschale. Als Lösung bietet sich an, in diesen Fällen das Eszett beizubehalten oder nur zwei s zu schreiben: Flußschiffahrt - Flusschiffahrt, Nußschale – Nusschale. Bei Wörtern wie Maßstab bleiben wir von Dreifachkonsonanz verschont, außer eben in der Schweiz, wo es im allgemeinen kein ß mehr gibt. Es gibt jedoch einen einfachen Ausweg: Masstab.

Griechisch-lateinisches ph und th
Schwer tun wir uns im Deutschen seit Jahren mit der Schreibung von Wörtern, die aus dem Griechischen entlehnt oder mit griechischen Elementen gebildet worden sind. Da haben es sich andere Sprachgemeinschaften einfacher gemacht: Im Spanischen und Italienischen sowie etwa im Schwedischen und Norwegischen sind ph durch p und th konsequent durch t ersetzt worden: Philosophie heißt filosofia bzw. filosofi, Theologie teologia bzw. teologi.
Einen inkonsequenten Mittelweg hat das Niederländische beschritten. ph ist verschwunden, aber es bleibt meistens bei th, so in theater und theologie. Allerdings wird hartnäckig an den Wortschöpfungen des späten 16. Jahrhunderts festgehalten, den Lehnwörtern  filosofie und fysica werden wijsbegeerte und natuurkunde vorgezogen, und anstelle von theater und theologie heißt es gewöhnlich schouwburg und godgeleerdheid. Doubletten wie in apotheek/apoteek sind eher die Ausnahme.
Im Englischen und Französischen wurde die Schreibung zwar im 18. Jahrhundert vereinheitlicht. Sie basierte aber im Englischen im wesentlichen auf dem Lautstand des späten 15. Jahrhunderts, als Caxton Bücher in englischer Sprache zu drucken begann (1474/1476). Schon im 17. Jahrhundert hätte eine Rechtschreibung, die sich an der Phonetik orientierte, einen Bruch mit der  bisherigen Schreibtradition bedeutet. Deshalb ist die englische Orthographie so konservativ; kaum jemandem käme es in den Sinn, das ph in elephant oder telephone durch f zu ersetzen. Auch das Französische hält an einem älteren Lautstand fest, u. a. um Homonyme (gleichlautende Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung) von einander zu unterscheiden, z.B. champ und chant. Deshalb spielt die Etymologie (also die Herkunft) der Wörter auch im Französischen eine große Rolle. Die Rechtschreibung ist also in beiden Sprachen schwierig, weil sie nicht weitgehend von der Aussprache abgeleitet werden kann. Im Gegensatz zum Englischen ergeben sich im Französischen allerdings beim Lesen von Texten kaum Schwierigkeiten, da die Lautung der Wörter in eine überblickbare Anzahl Regeln gefasst werden kann. 3)
Im Deutschen nun haben wir keine eindeutige Regel, wie wir mit griechischen Lehnwörtern oder aus griechischen Bestandteilen geschaffenen Wörtern umgehen sollen. Zu erkennen ist bloß eine zögerliche Neigung, oft verwendete Wörter vom ph zu reinigen: Telefon statt Telephon, Grafik statt Graphik.  Viel weiter bringt uns das nicht, weil Phonetik und Phonologie dann doch noch beim ph bleiben. Ziemlich lächerlich wird es, wenn der DUDEN die Schreibung Orthografie vorzieht, sich also einmal nach der lateinischen Umschrift th von griechischem θ richtet (ursprünglich übrigens ein aspiriertes /tʰ/ wie das t im modernen Deutsch), ein andermal nach der im Deutschen üblichen Schreibung  des Phonems /f/ für Griechisch Φ (ursprünglich ein aspieriertes pʰ). Konsequent ist nur entweder eine Beibehaltung der Schreibungen mit th und ph in Lehnwörtern aus dem Griechischen - oder dann eine radikale Schreibung mit t und f. Im Deutschen ist letzteres jedoch unwahrscheinlich. So prestigeträchtige Wörter wie Philosophie, Philologie und Physik, Theologie, Theorie und Theater sowie Apotheke und Bibliothek wird man wohl auch in Zukunft mit ph und th schreiben und nicht mit f und t.

Der Sonderfall y
Im Falle von y hat sich in der deutschen Sprachgemeinschaft  weitgehend die frühere Aussprache als kurzes oder langes /i/ der Schreibung angepasst; Physik, System und Asyl werden wie im Altgriechischen als kurzes oder langes /ü/ ausgesprochen. Dieser Lautwandel hat die Schweiz allerdings nur teilweise erfasst. Wo sich im Deutschen allgemein die Aussprache /i/ durchgesetzt hat, wird heute in der Regel auch i geschrieben: Oxid anstelle von Oxyd
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1) http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2003/0801/tagesthema/0007/index.html
2) Webseiten dazu:
http://www.nzz.ch/nachrichten/panorama/rechtschreibreform_nzz_1.570758.html
http://www.sok.ch/index___id=woerterlisten!einleitung.html
3) Großen Anteil daran hatte im Französischen  der Dictionaire de l’Académie Française (1. Aufl. 1695) und im Englischen Samuel Johnsons Dictionary oft he English Language (1755).
http://bbouillon.free.fr/univ/hl/Fichiers/Cours/orthog.htm
http://spellingsociety.org/history#/page/1
https://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%BChneuenglische_Vokalverschiebung
E. J. Dobson: English Pronunciation 1500-1700. 2. Auflage, 2 Bnde, Clarendon Press, Oxford 1968.

 

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