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Grammatik und Stilistik

LEHRER LÄMPEL: STEIGERN UND VERGLEICHEN

Hier kommt Lehrer Lämpel!
Mit wachem Blick auf den heutigen Sprachgebrauch greift er Unsicherheiten und Ungenauigkeiten auf. Er klärt, korrigiert und kommentiert und möchte gemeinsam mit Ihnen darüber nachdenken, wohin unsere Sprache geht und wohin sie gehen soll.

Im folgenden Text geht es um die Steigerung von Adjektiven.
Lehrer-Laempel-Bild

Steigern und Vergleichen

Zu Beginn steht eine elementare Frage: Welche Adjektive kann man steigern?
Für Adjektive gibt es grundsätzlich drei Steigerungsformen: den Positiv („unser Garten ist schön“), den Komparativ („unser Garten ist schöner als Omas Garten“) und den Superlativ („unser Garten ist am schönsten“ bzw. „unser Garten ist der schönste in der Strasse“). Wir kennen viele Fälle, bei denen diese Dreistufigkeit problemlos anwendbar ist und funktioniert: klein – kleiner – am kleinsten, schnell – schneller – am schnellsten, laut – lauter – am lautesten; lang– länger – am längsten (mit Umlaut); gut – besser – am besten (unregelmässig).
Auf der anderen Seite gibt es Ausdrücke, die eine Steigerung schon von der Logik her ausschliessen. Dazu gehören tot, leer, vollständig, verheiratet, schwanger, eineiig, dreieckig, taub, arbeitslos, schriftlich, fertig, einzig, optimal, ganz ... Diese Eigenschaften sind vorhanden oder nicht, es gibt keine Abstufungen und kein Dazwischen.
Damit ist die Sache aber nicht erledigt. Denn zwischen diesen beiden Polen steht eine nicht vernachlässigbare Zahl von Zweifelsfällen, welche die vermeintlich klare Ordnung ins Wanken bringt. Fragen der Logik, ja philosophische Fragen tun sich auf: Kann etwas deutscher sein als deutsch? Gibt es eine noch falschere Antwort? Ist dieses Detail noch entscheidender als das entscheidende Detail? Kann der Pullover blauer sein als der andere?
Einige Adjektive fallen je nach Bedeutung im jeweiligen Kontext in unterschiedliche Gruppen: tot oder lebendig (‚am Leben‘) ist ein klassischer Fall von entweder – oder. Die Eltern X können aber ein noch lebendigeres (‚lebhafteres‘) Kind haben als die Eltern Y.
still in der Bedeutung ‚lautlos‘ ist nicht zu steigern. Kollege X kann aber noch stiller (‚zurückhaltender, weniger gesprächig‘) sein als Kollege Y. Ein Beispiel aus der Umgangssprache: Die Seminararbeit ist fertig (‚abgeschlossen‘). Nach der nächtlichen Feier ist Fritz aber noch fertiger (‚erschöpfter‘) als Hans – vielleicht auch, weil er noch voller (‚betrunkener‘) war?
Schaut man sich noch weiter um, so tauchen – speziell im Superlativ – auch Fälle auf, die von der Logik her nicht sinnvoll oder möglich sind, die aber dennoch immer wieder genutzt werden: Ich danke dir aus vollstem Herzen. Er erfüllte seine Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit. Es geschah in der schwärzesten aller Nächte. Selbst das blindeste Huhn findet ab und zu ein Korn. Im extremsten Fall könnte auch Folgendes passieren. Das scheint mir die einzigste Lösung zu sein. Ihre Ideen sind in keinster Weise hilfreich.
Sind diese Ausdrucksweisen falsch?
Falsch ist auf jeden Fall die letztgenannte Form„in keinster Weise“: Der springende Punkt ist, dass kein gar kein Adjektiv ist, sondern ein Pronomen, somit grundsätzlich nicht gesteigert werden kann – daran sollte man sich zumindest in der Standardsprache halten.
An den anderen Formen ist rein grammatikalisch nichts auszusetzen. Bedeutsam ist die Bedeutung. Dass es nur einen einzigen – und somit keinen einzigsten – geben kann, sollte klar sein. Ansonsten bleiben jedoch selbst etablierte Nachschlagewerke für das Deutsche diesbezüglich etwas vage. Es ist nicht ganz einfach, hier die Grenze zu ziehen zwischen einerseits logisch falscher und damit abzulehnender Ausdrucksweise, andererseits ausdrucksstarker Sprachgestaltung, die sich auch ungewöhnlicher, vielleicht sogar absichtlich extravaganter Mittel bedient, zudem der Poesie, die per se sprachliche Freiheit geniesst.
Als Spezialform des Superlativs ist ausserdem der Elativ benannt worden: Damit werden Superlativformen benannt, die nicht im Sinne eines Vergleichs gebraucht werden, sondern lediglich einen hohen Grad von etwas ausdrücken, z. B. „Er lobte ihn in den höchsten Tönen“ oder „Beim leisesten Verdacht zuckt sie zusammen“. Dazu gehören auch Höflichkeitsformen wie herzlichst oder höflichst. Mit der Bezeichnung Elativ wird teilweise auch die Verwendung eigentlich nicht steigerbarer Adjektive im Superlativ gerechtfertigt, z. B. aus vollstem Herzen oder zu unserer vollsten Zufriedenheit. Darüber herrscht jedoch auch in sprachwissenschaftlichen Darstellungen Uneinigkeit.
Es zeigt sich dabei: Sprache ist nicht Mathematik. Sie lebt auch von der Lebendigkeit und Originalität ihrer Nutzer, sie ist eine Möglichkeit und zugleich ein Versuch, die vielfältige Lebenswirklichkeit kreativ abzubilden.
Dennoch sollte man auf jeden Fall über die Sinnhaftigkeit der verwendeten Komparative und Superlative nachdenken. Höchstensinvereinzelten Fällenkönnenauch unübliche Formen zum Erzielen einer bestimmten Wirkung verwendet werden. Um zu den oben genannten logisch fragwürdigen Steigerungsformen zurückzukommen – in den allermeisten derartigen Fällen reicht der Positiv, also die nicht gesteigerte Form, völlig aus:
Ich danke dir aus vollem Herzen. (Beim etablierten Deutsch für Arbeitszeugnisse reicht die volle Zufriedenheit bedauerlicherweise nicht aus für eine sehr gute Beurteilung.) Selbst ein blindes Huhn findet ab und zu ein Korn. Im extremen Fall / Im Extremfall könnte auch Folgendes passieren. Das scheint mir die einzige Lösung zu sein.
Und natürlich: Ihre Ideen sind in keiner Weise hilfreich.
Wie stellt sich die Steigerungsfähigkeit nun dar bei Adjektiven, die aus zwei Teilenbestehen? Im Sprachgebrauch finden sich Beispiele, bei denen der Urheber es offenbar besonders gut meinte: die weiterreichendere Entscheidung, der bestaussehendste Schauspieler, das meistgelesenste Buch, der grösstmöglichste Gewinn, das näherliegendere Argument. Diese Formen sind – wenngleich immer wieder anzutreffen – Unsinn. Die differenzierten Regeln, welcher Teil eines zweiteiligen Adjektivs jeweils gesteigert werden kann und darf, können hier nicht erschöpfend ausgeführt werden (manchmal ist es nur der erste Teil, selten nur der zweite, manchmal kann der erste oder der zweite Teil gesteigert werden). Die Grundregel lautet: Es kann immer nur ein Teil eine Steigerung erfahren.
Auch unter den zusammengesetzten Adjektiven gibt es eine spezielle Gruppe von Wörtern, die gar keine Steigerung mehr erlaubt. Dazu gehören zum Beispiel: bitterböse, steinreich, hundeelend, haushoch, blitzgescheit, mucksmäuschenstill, knüppeldicke, sturzbetrunken. Kennzeichnend für diese Adjektive ist, dass sie mit einem ersten Teil kombiniert werden, dessen Hauptfunktion in diesem Kontext eine Bedeutungsverstärkung ist – also eine andere Art von Steigerung. Diese Adjektive können also nicht (weiter) gesteigert werden.
Meister in der Bedeutungsintensivierung durch ein vorangestelltes Wort oder Präfix sind übrigens Jugendliche. Dabei finden sie immer wieder neue verbale Möglichkeiten, zum Beispiel bei Ausdrücken wie megacool, bösgeil, hammergeil, affengeil, rattenscharf.
Ein Herzensanliegen von Lehrer Lämpel zur Steigerung von Adjektiven sei am Schluss dieser Ausführungen genannt: Die Vergleichspartikel beim Komparativ heisst als. Beim Positiv heisst es (so) ... wie. Formen wie *„Unser Garten ist grösser wie Omas“ sind also falsch – auch wenn sie in der Umgangssprache leider nicht selten sind. Es bleibt dabei: „Unser Garten ist grösser als Omas“ und „Nachbars Garten ist so gross wie unserer“. 
Zwei Anmerkungen: Lediglich bei ganz wenigen speziellen Verbindungen wie „so bald wie/als möglich“ gelten beide Partikeln als korrekt. Manche – nicht alle – Grammatikdarstellungen erlauben zudem „als“ und „wie“, wenn dem Positiv ein „doppelt“ oder „halb“ vorangestellt wird, also „Unser Garten ist doppelt so gross wie deiner“ und „Unser Garten ist doppelt so gross als deiner“. Lehrer Lämpel jedoch rät auch hier grundsätzlich zum wie!

(Mitteilungen 2/2016, S. 7-10)

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