Ennetrheinische

Kultur- und Sprachsplitter

PETER GLATTHARD-WEBER

 

Im folgenden geht es um nichts Weltbewegendes, bloss um ei- nige Kultur- und SpracheindrŸcke, die der Schreibende im Lau- fe verschiedener TagesausflŸge im Sommer und Herbst 2013 zufŠllig aufgeschnappt hat. Diese ganz persšnlichen Wahrneh- mungen und Beobachtungen kšnnen vielleicht auch den Le- sern der SKD-Mitteilungen einige Denkanstšsse vermitteln.

Der SKD freut sich Ÿber Ihr Echo und ermuntert Sie, Ihre Šhn- lichen oder auch ganz andersartigen Sprachbeobachtungen ebenfalls mitzuteilen! Erst der vielstimmige Austausch Ÿber selber gemachte Beobachtungen ermšglicht nŠmlich eine umfassendere Sicht auf unsere Sprache, die der Wirklichkeit ein bisschen nŠher kommt und ihr besser gerecht wird.

 

Freiburg im Breisgau: ÇRein ins Land raus mit der Sprache!È Das Plakat mit diesem Werbespruch, das ich Anfang Oktober 2013 in der NŠhe des Bahnhofs entdeckte, war das erste, was mich in Freiburg i. Br. in den Bann zog. Eine Sprachschule wirbt damit fŸr Sprachaufenthalte im Ausland. Mir gefiel die klare und sehr bildhafte Botschaft auf Anhieb.


Ein schšnes GegenstŸck ist die Aussage, die Goethe schon 180 Jahre frŸher zum gleichen Thema machte: ÇWer fremde Sprachen nicht kennt, weiss nichts von seiner eigenen.È

(aus: Maximen und Reflexionen; II.; Nr. 23, 91)

Auf dem Weg Richtung MŸnster fiel mir ein altes Haus mit leuchtend gelber Fassade besonders auf. Oben gegen das Giebelfeld ist in munterem Blau ein Fisch und gleich darŸber der Name des Hauses gemalt: ÇZum geilen FischÈ. Nanu, was mag 'geil' hier bedeuten? Die spŠtere Google-Suche mit ÇFreiburg + geil + FischÈ brachte mich da nicht weiter, worauf ich, einer guten Eingebung folgend, noch im Schwei- zerischen Idiotikon (direkt im Weltnetz einsehbar!) nach- schlug, ob unter ÇgeilÈ allenfalls verschiedene Bedeutungen verzeichnet sind. TatsŠchlich! Im Zusammenhang mit Fisch kann das Wort, in den heutigen Sprachgebrauch Ÿbersetzt, wirklich so viel wie ÇquicklebendigÈ oder ÇmunterÈ bedeu- ten – heureka!

Ich war an einem Dienstag unterwegs, und in Freiburg war Markttag. Die vielen bunten MarktstŠnde um das MŸnster sind schon eine Reise wert, und sogar als Berner musste ich neidlos eingestehen: Dieser Markt hier ist noch gršsser und noch schšner! Dass auch viele andere Schweizer an jenem Tag ebenfalls einen Ausflug hierher machten, hšrte man auf Schritt und Tritt. So hšrte ich beispielsweise, wie ein Šlterer Berner staunend feststellte: ÇFriburg isch haut Šbe-n e Pu-


 


 

reschtadt wie BŠrn o!È Ja, es gibt wirklich viele Šussere Ge- meinsamkeiten zwischen den beiden ZŠhringerstŠdten, so dass sich wohl die meisten Berner im ÇfernenÈ Freiburg i. Br. sogleich halb zu Hause fŸhlen.

Sozusagen das TŸpfelchen auf dem i erwartete mich nach dem Marktbesuch in einem schšnen Gasthof, wo natŸrlich auch der Çneue SŸsseÈ angeboten wurde, der unserem ÇSau- serÈ entspricht. Den roten Saft hatte ich schon auf dem Markt entdeckt. Im Gasthof wurde hingegen SŸsser aus weissen Trauben aufgetragen, den ich mit Hochgenuss die Kehle hin- abtrŠufeln liess. Dass dies ein besonderer GlŸcksmoment im Jahr sein muss, bewies schon der erste Blick zum Nachbar- tisch, wo ein alteingesessener Freiburger sass, der still in sich gekehrt an der gleichen Kšstlichkeit nippte.

Nach einem besinnlichen Rundgang durch das MŸnster blieb noch genug Zeit, um durch die engen Gassen und GŠsschen der Innenstadt mit ihren ÇBŠchleÈ zu flanieren und viele schš- ne Kleinigkeiten zu bestaunen.

 

Liebe Leser, machen Sie doch die Probe aufs Exempel: Wie werben heute Sprachschulen oder auch ReisebŸros in deutschsprachigen Regionen? Wie kommen deren Werbebot- schaften bei Ihnen an? Weshalb meinen immer noch so viele Fachleute, dass sich GlobalitŠt und Weltgewandtheit nur mit Anglizismen suggerieren lassen?


Dazu vielleicht eine ganz konkrete Frage aus dem heutigen Sprachalltag: Worin besteht aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen "Public Relations" und ÇšffentlichkeitsarbeitÈ? Tei- len Sie doch dem SKD Ihre Meinung mit! Wir sind gespannt auf Ihre EinschŠtzung.

 

Ravensburg: ÇOnkel Jodok lŠsst grŸssenÈ

Nach etlichen AusflŸgen nach Friedrichshafen und Meersburg wollte ich mich fŸr einmal weiter vom Bodensee entfernen und etwas weiter ins Landesinnere vorwagen. Ravensburg bot sich da als erstes Ziel an, sind wir Schweizer doch seit unserer frŸhesten Kindheit mit Ravensburger Spielen aufge- wachsen. Ich persšnlich setze mich in der Freizeit oft und ger- ne mit Puzzles (meistens 500er oder 1000er) auseinander, und der Ravensburger Verlag bietet diesbezŸglich immer wieder eine Vielzahl von interessanten Motiven.

Sonst hatte ich aber null Ahnung, wie gross diese Stadt ist, wie sie aussieht und was es dort sonst noch zu sehen und zu ent- decken gibt.

Als erstes fallen mir die zahlreichen TŸrme und Tore auf, die of- fenbar alle einen Teil der alten Stadtmauer bilden. Im Nu bin ich vom Bahnhof mitten in der schšnen und grossen Altstadt, die zu meiner freudigen †berraschung auch Ÿber eine grosse verkehrs- freie FussgŠngerzone verfŸgt. Warum schaffen wir das in Bern und anderswo in der Schweiz bis heute nicht? Wirklich schade!


 


 

Ravensburg liegt am Fuss eines HŸgels, so dass einige der Šus- seren Gassen und GŠsschen der Altstadt ziemlich steil anstei- gen. Die gemŸtliche PlŠtze und GaststŠtten und viele interes- sante und originelle LŠden (neben den zig unvermeidlichen Filialen anderer globaler Mode- und Ladenketten) wirken auf den fremden Besucher sehr einladend.

Vor dem eigentlichen Kern der Altstadt betrete ich eine gros- se, stattliche Kirche und staune gleich Ÿber den Namen ih- res Schutzpatrons, des heiligen Jodok. Dass dieser Name fŸr Schweizer Ohren zunŠchst lustig und ulkig klingt, machte sich 1969 schon Peter Bichsel in seinen ÇKindergeschichtenÈ zu- nutze. Eine davon ist mit ÇOnkel Jodok lŠsst grŸssenÈ betitelt. Gerne fŸge ich hier ein Zitat daraus an: ÇUnd der Gro§vater liebte die O von Jooodoook, und sagte: Onkel Jodok kocht grosse Bohnen. Onkel Jodok lobt den Nordpol. Onkel Jodok tobt froh.È

Der Freude nach der Innenbesichtigung dieser interessanten Kirche folgt jŠhes und stummes Entsetzen, als ich aussen an der Kirche eine rostfarbene eiserne Gedenktafel sehe und dar- auf lese: ÇZum Gedenken an die 29 Ravensburger Sinti, die am

13. MŠrz 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert und in den Jahren 1943 und 1944 ermordet wur- den. Sie alle waren BŸrger der Stadt Ravensburg und gehšrten zur Pfarrgemeinde Sankt Jodok.È Alle diese Opfer tragen die gŠngigen deutschen Namen Guttenberger oder Reinhardt.


Nach einem stŠrkenden Zwischenhalt mit Kaffee und Kuchen auf einem schšnen Platz mitten in der Altstadt kaufe ich einige Mitbringsel und erstehe mir bei Fischinger, dem Çetwas ande- ren Spielwaren- und FreizeithausÈ, ein spezielles Ravensbur- ger 1000er-Puzzle, hergestellt in Koproduktion mit Fischinger: Eine wunderschšne Luftaufnahme der Altstadt von Ravens- burg, am linken und unteren Rand mit sieben farbenfrohen Bildern des jŠhrlich stattfindenden Rutenfestes gesŠumt. Es handelt sich um eine limitierte Sonderauflage von 10 000 StŸck, wenn ich mich richtig an die begeisterte Empfehlung des VerkŠufers erinnere, und auf dem Schachteldeckel prangt der besondere Stempel Ç1911–2011, 100 Jahre Rutenfestkom- mission RavensburgÈ.

 

So weit meine beschrŠnkte Ein-Tages-Ansicht Ÿber eine bis- her fremde, aber dennoch so nahe liegende (und auch gei- stig naheliegende) Stadt. Weiss vielleicht der eine Leser oder die andere Leserin mehr Ÿber den Namen Jodok und dessen Verbreitung? Der SKD freut sich, wenn Sie uns Ihr Wissen oder Ihre Erlebnisse zu diesem Namen ebenfalls mitteilen!

 

Mit der BOB nach Biberach an der Riss

Der Ausflug nach Ravensburg hatte meinen Appetit ge- weckt: An einem schšnen Oktobertag ist es dann so weit: Heute will ich ein StŸck Richtung Ulm weiterfahren, bis


 


 

nach Biberach an der Riss. Seit 1993 kann man die Strecke Friedrichshafen-Ulm mit der Bodensee-Oberschwaben- Bahn (BOB) zurŸcklegen: Im Gegensatz zur Berner Ober- land Bahn, die seit Jahrzehnten die gleiche AbkŸrzung ver- wendet, handelt es sich bei der BOB GmbH um eine Diesel-S-Bahn, die auf Initiative der Technischen Werke Friedrichshafen, der Stadt Ravensburg, der Gemeinde Mek- kenbeuren, des Bodenseekreises sowie des Landkreises Ravensburg gegrŸndet wurde. In den 1980er-Jahren hatte die DB im Nahverkehr auf die Devise ÇStrasse statt Schie- neÈ gesetzt und etliche kleine Bahnhšfe aufgehoben. Auf Initiative der BOB wurden diese aber wieder auf Vorder- mann gebracht, und die Taktdichte der ZŸge wurde schritt- weise erhšht. Die WŸrttemberger sind stolz auf Ihre neue

ÇSchwŠbische EisenbahnÈ und nennen sie, in lieber Erinne- rung an das seit 1850 aufgekommene volkstŸmliche Spott- lied, die ÇGeissbockbahnÈ. Mehr zu diesem Namen erfah- ren Sie am Schluss dieses Beitrags.

Der gršsste Teil der Bahnstrecke fŸhrt durch Feld und Wald. Obschon sich zwischen Ravensburg und Biberach nur ein HŸgelzug erhebt, fliesst das Wasser von Biberach nicht mehr Richtung Rhein, sondern Richtung Donau.

Ich steige erwartungsvoll aus und marschiere Richtung Alt- stadt. Ich will mich von dieser Stadt Ÿberraschen lassen. Aus einer kurzen Internet-Konsultation wusste ich nur, dass


der berŸhmte deutsche Dichter christoph Martin Wieland dort geboren sei. Ich muss zu meiner Schmach gestehen, bis heute nichts von diesem grossen Dichter gelesen zu ha- ben, obwohl dieser ja der Schweiz sehr nahe stand: 1752 besuchte er Johann Jakob Bodmer und weilte in der Folge rund acht Jahre in der Schweiz. In Bern verliebte er sich Hals Ÿber Kopf in Julie Bondeli, mit der er sich 1759 verlob- te; danach sei er jedoch ŸberstŸrzt in seine Vaterstadt Bi- berach an der Riss zurŸckgekehrt, um sich dort als Senator und Kanzleiverwalter zu bewerben.

Ich marschiere an der eindrŸcklichen Martinskirche vorbei Ÿber den schšnen Marktplatz und stehe zuerst staunend und dann sehr belustigt vor einer recht grossen Eisenpla- stik, die von hinten einen gewšhnlichen Esel darstellt. Vor- ne aber enthŸllen sich dem staunenden Betrachter eine ganze Reihe von eng verschlungenen Menschengestalten aller StŠnde und jeden Alters, MŠnnlein und Weiblein, der Ÿberbordende Humor des Werkes erinnert mich irgendwie an die ÇImperiaÈ in Friedrichshafen!

Es ist bereits Mittagszeit. Ich kaufe mir ein leckeres Picknick und steige neben einem schšnen alten Wehrturm den HŸ- gel hinan, auf den Gigelberg, einem kleines Hochplateau mit Spiel- und VergnŸgungsanlagen fŸr Jung und Alt. †berall unterwegs laden gemŸtliche SitzbŠnke, meist mit schšner Aussicht auf die Stadt, zum Verweilen ein.


 


 

Ein Mantel fŸr St. Martin

Nach einem sanften Abstieg bin ich wieder unten in der Stadt und betrete die grosse Kirche. Es ist nicht irgendeine Kirche, sondern, wie ich mit wachsendem Erstaunen zur Kenntnis nehme, eine Simultankirche. Ich zitiere kurz aus dem Internet: ÇDie Kirche St. Martinus und Maria ist die Stadtpfarrkirche der Kreisstadt Biberach an der Riss. Es han- delt sich um eine Simultankirche, die von der katholischen und der evangelischen Kirchengemeinde genutzt wird. Ei- gentŸmerin der Kirche ist die Stiftung Gemeinschaftliche Kirchenpflege Biberach, einer im Konstrukt weltweit einzig- artigen Stiftung šffentlichen Rechts (É) Die Reformation in Biberach  gipfelte  in  einem  Bildersturm,  bei  dem am

29. Juni 1531 unter anderem der Hochaltar der Kirche mit Tafeln von Martin Schongauer zerstšrt wurde. Die ršmisch- katholische Messe wurde verboten, durch das Augsburger Interim von 1548 aber wieder zugelassen. Gesellschaftlich stand in der Stadt Biberach zu dieser Zeit eine Ÿberwiegend protestantische Bevšlkerungsmehrheit von etwa 90 Prozent einer ršmisch-katholisch verbliebenen Adelsschicht von etwa 10 Prozent gegenŸber. So nutzten Protestanten und Katholiken die Kirche seit dem 13. August 1548 gemeinsam. Das galt vor allem fŸr das Kirchenschiff, der chor blieb rein ršmisch-katholisch. Dieser Zustand wurde durch den West- fŠlischen Frieden festgeschrieben und besteht noch heute.È


Das ist wirklich sensationell fŸr eine deutsche Stadt, die alle Wirren der Reformation und des DreissigjŠhrigen Krieges durchzustehen hatte!

Die Kirche ist aber zurzeit renovationsbedŸrftig. Die Si- multaneum BauhŸtte e.V. wirbt dabei auf sympathische Art um Spenden: ÇEin Mantel fŸr St. Martin denn unsere Stadtpfarrkirche St. Martin braucht UnterstŸtzung. Die Heizung muss erneuert werden. Eine Aussenrenovierung steht in den nŠchsten Jahren an. Die beiden Kirchenge- meinden sind dazu alleine nicht in der Lage. Daher bittet der Fšrderverein BauhŸtte Simultaneum e.V. um Unter- stŸtzung.È

 

Unaufdringlich, aber eindringlich: Das Museum Biberach Die verbleibende Zeit meines Aufenthalts bleibe ich im Museum Biberach hŠngen. Ich bin fasziniert, wie es hier ei- ner kleinen Stadt gelingt, ganz unaufdringlich, aber viel- leicht gerade deshalb umso eindringlicher ihre geschichtli- che Vergangenheit jungen und Šlteren Besuchern von heute nahezubringen, darunter auch die trŸbe Zeit des Nationalsozialismus.

Mit Erstaunen nehme ich sodann zur Kenntnis, dass das Museum Biberach eine bedeutende Sammlung des Malers Ernst Ludwig Kirchner beherbergt, weil dessen jŸngerer Bruder Hans Walter infolge der Kriegs- und Nachkriegswir-


 


 

ren auf Umwegen von Berlin nach Biberach verschlagen wurde. Bruder. Viele kennen wohl das Kirchner Museum Davos. Aber wer weiss schon, dass sich das Ernst Ludwig Kirchner Archiv in Wichtrach (zwischen Bern und Thun) be- findet? Ich jedenfalls wusste das vorher nicht É

Ich habe aber nicht mehr viel Zeit und lasse fŸr einmal die schšnen KŸnste beiseite, um noch einen kurzen Blick in die aktuelle Sonderausstellung ÇSchwŠbische EisenbahnÈ zu werfen (sie dauert noch bis zum 6. Januar 2014). Lustige Schienen-Kleber am Fussboden leiten die Besucher sicher in die oberen Etagen, wo sich die sehenswerten Exponate zur Geschichte der berŸhmten alten Eisenbahn befinden. Ich lasse zum Ausklang einen Ausschnitt aus dem berŸhm-


ten Lied Ÿber die SchwŠbische Eisenbahn folgen. Da geht es um das ebenso ulkige wie traurige Erlebnis eines uner- fahrenen BŠuerleins, das seinen Geissbock am hintersten Wagen angebunden hatte und am Ende der Fahrt er- schreckt feststellt, dass nur noch dessen Kopf am Seilende hŠngt É Ich will aber lieber in Dur als in Moll aufhšren und zitiere daher aus dem fršhlicheren Anfangsteil des Liedes:

ÇAuf de schwŠb'sche Eisebahne / Wollt amol e BŠuerle fah- re; / goht an d Kass' und lupft de Hut: / ÇOin Buillettle, sind so gut!È

Ja, wenn ich wieder Reiselust verspŸre, fahre ich bestimmt wieder hin, nach Biberist an der Emme, nach Bellach an der Aare oder eben nach Biberach an der Riss!