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LÖSUNG

L'Europe existe! Auch für die Schweiz

• KONRAD STAMM

Die Historiker sagen, …am Ende des 15. Jahrhunderts sei die Weltgeschichte eurozentrisch geworden:

Fast alles, was die heutige Welt von derjenigen der Mongolen und Mamelucken unterscheide - sei es in der Wissenschaft, der Technologie oder der Politik - stamme ursprünglich aus Europa.

Sehe man vom Römischen Reich ab, so sei im Laufe der Geschichte dreimal versucht worden, Europa zu vereinen.

 Die beiden ersten Versuche, durch Napoleon und Hitler, seien gewaltsam und auf Unterwerfung ausgerichtet gewesen und seien beide in einem grossen Blutvergiessen gescheitert.

 Der dritte Versuch habe vor etwas mehr als fünfzig Jahren mit Churchills Vision begonnen, die er in seiner berühmt gewordenen Zürcher Rede zum Ausdruck gebracht habe.

 Churchill habe damals gesagt, der erste Schritt zu einer Neuschöpfung der europäischen Völkerfamilie müsse eine Partnerschaft  zwischen Frankreich und Deutschland sein.

Wenn einmal das Gefüge der Vereinigten Staaten von Europa gut und richtig sei, dann werde die materielle Stärke eines Staates weniger wichtig sein: Kleine Nationen würden genauso viel zählen wie grosse.»

 Das sei, in wenigen Worten zusammengefasst, ein weitsichtiges Programm für die Einigung Europas gewesen.

Jean Monnet, Robert Schumann, Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi hätten begonnen, Churchills Vision in die Tat umzusetzen.

 Kernidee der Architekten dieses dritten Einigungsversuchs sei von Anfang an gewesen, in ganz Europa Frieden und Stabilität zu schaffen.

 Doch die Realität des Kalten Krieges habe zunächst zur integrationspolitischen Beschränkung auf Westeuropa gezwungen.

Erst nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 habe die Verwirklichung des ursprünglichen Ziels wieder ins Auge gefasst werden können.

 Inzwischen sei die Europäische Union so erfolgreich und attraktiv geworden, dass sich die mittel- und osteuropäischen Länder praktisch ausnahmslos um die Mitgliedschaft bewürben.

Und die bisherigen EU-Mitglieder müssten dessen gewahr werden, dass sich Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte in ganz Europa auf die Dauer nur verwirklichen ließen, wenn die Zweiteilung des Kontinents endgültig überwunden werde.

 Der Balkan lasse sich aus dem künftigen Europa so wenig ausschliessen wie Polen oder die baltischen Staaten.

Das «Unternehmen Europa» sei anspruchsvoll und anstrengend, und es gehe nicht ohne Rückschläge ab, wenn dreissig Staaten mit mindestens zwanzig verschiedenen Rechtssystemen und ebenso vielen Sprachen auf friedlichem Weg vereinigt werden sollten.

Die Unfähigkeit der EU, auf dem Balkan für Stabilität zu sorgen, zeige, dass die Gemeinschaft noch einen weiten Weg zurückzulegen habe.

 Trotzdem sei der europäische Integrationsprozess, der 1951 mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (der Montanunion) begonnen habe, 1954 mit der Absage Frankreichs an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft den ersten Dämpfer erlitten habe und 1957 mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) fortgesetzt worden sei, eine Erfolgsgeschichte sondergleichen.

 Das Rezept, Friedenssicherung auf dem Umweg der wirtschaftlichen Zusammenarbeit anzustreben, habe sich bewährt.

 Noch nie habe es in Europa eine derart lang dauernde Periode des Friedens und der Prosperität gegeben.

Nicht nur sei in bisher drei Erweiterungsrunden die Mitgliederzahl der Gemeinschaft von ursprünglich sechs auf heute fünfzehn erhöht worden, sondern es hätten laufend auch Schritte der qualitativen Vertiefung stattgefunden - von der Zollunion bis zur Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion im vergangenen Jahr.

Europa als «Prozess»

Beides gleichzeitig, Erweiterung und Vertiefung der EU, werde künftig kaum mehr möglich sein.

Es zeichne sich deshalb ab, dass sich Europa in zwei oder mehr Geschwindigkeiten fortentwickeln werde: flexibel, wie es sich bereits bei der Einführung des Euro oder beim Schengener Abkommen erwiesen habe.

Eines sei indessen sicher: L'Europe existe!

Seit 50 Jahren gebe es ein politisches Europa, und zwar nicht als ein für allemal fest gefügtes System, sondern als fortwährenden Prozess der quantitativen Erweiterung und der qualitativen Vertiefung.

Der «gemeinsame Markt» habe den europäischen Völkern nicht nur wirtschaftlichen Fortschritt und materiellen Wohlstand, sondern auch Demokratie, Sicherheit und Frieden gebracht.

Davon profitiere die Schweiz in nicht geringem Umfang.

Wir hätten uns längst an das real existierende Europa angepasst - sei es in der Gesetzgebung, sei es im praktischen Alltag. Auch das sollten wir bedenken, wenn wir in der Volksabstimmung vom 21. Mai unser Verhältnis zur EU neu festlegen.